Ich beginne mit einer Vorbemerkung: Ich habe nichts gegen das Gespräch im Geist, gegen das rechte innere Hören auf Gott und aufeinander, wie Etty Hillesum es in ihrem Tagebuch (1941-1943) formuliert hat: Das Tiefste in mir, das auf das Tiefste im anderen hört, Gott zu Gott.
Gegen all das und die damit verbundenen schöne Worte des Abschlussdokumentes der Synode ist nichts einzuwenden. Meine Ordensregel beginnt mit dem Wort «Höre» (ausculta) wie auch das Schma Israel (Höre Israel…). Ich lehre das alles die Menschen (nämlich das Hören und Unterscheiden) seit Jahrzehnten auf jedem meiner Exerzitienkurse, und viele andere haben dasselbe schon immer und noch besser getan. Man soll uns also in diesem Sinne «Synodalität» nicht als eine neue Offenbarung verkaufen, als das neue Paradigma schlechthin, als hätten frühere Generationen, die Heiligen und die «alte» Kirche, davon nichts verstanden, oder als hätten sie es zu wenig gelehrt und gelebt. Auch ihnen ging es immer um den Willen Gottes und deshalb um das rechte Hören. Es geht mir also nicht darum, Synodalität im Sinne des Hörens auf den Heiligen Geist und der Unterscheidung des Geistes schlecht zu reden (in meinem Fall wäre das ein Selbstwiderspruch). Mein Problem mit der aktuellen Propaganda von Synodalität liegt woanders:
Mit der «Synodalität» soll uns ein Paradigma aufgedrückt werden, das in uns die Illusion erzeugt, dass nichts mehr wie vorher sein wird, dass es um eine neue Kirche geht, sozusagen um ein Vatikanum III (das in absehbarer Zeit nicht kommen wird), um etwas Neues, vom Konzil Intendiertes, aber noch nicht Verwirklichtes. Es wird uns eine neue Hermeneutik (des Bruches?) nahegelegt, um ein entsprechendes kirchliches Bewusstsein dafür heraufzubeschwören. Aber die Texte des Konzils werden selten oder überhaupt nicht zitiert. Wie immer beginnen stattdessen die «Revolutionäre», die «Reformer», mit der Sprache und Umdeutung der Begriffe (z.B. der Synode, ehemals beratende Versammlung von Bischöfen für den Papst). Entsprechend unerträglich geworden sind für mich die Dokumentenflut und der Befragungseifer der lernenden (hörenden), aber nicht lehrenden (führenden) Kirche, ein semantisches Diluvium (lat. Überschwemmung). Wir gehen unter in Worten und Spekulationen, in neuen Sünden und Dokumenten; aber bekehren tut sich niemand an der breiten gesellschaftlichen Basis aufgrund des lauten synodalen Posaunenschalls.
Die Gesellschaft bleibt säkular und ungläubig, obwohl in allen Dokumenten von Mission gesprochen wird. Je weniger Mission im eigentlichen Sinn (Geht hinaus in alle Welt; macht alle Menschen zu meinen Jüngern, lehrt sie zu halten, was ich Euch geboten habe, und tauft sie im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes!) an der Basis wirklich geschieht, umso mehr wird Mission in Worten synodal beschworen. Allerdings ist auch nicht mehr klar, was in der neuen Synodalität «Bekehrung» und «Mission» wirklich bedeuten, und was dabei am Ende herauskommt: die Taufe oder die Relativierung von allem; neue Frauenämter und neue Laiengremien oder die Gefährdung der Sakramentalität der Kirche, des Priestertums und ihrer Leitungsämter, die Protestantisierung ihrer Strukturen (Demokratisierung; Mitbestimmung, Kontrolle). Synodalisierung und Protestantisierung könnten zu Synonymen werden, ohne es zu deklarieren.
Die Kirche ist eine mit sich selbst beschäftigte Wandelhalle geworden, wo in jeder Ecke und bei jeder Säule Leute reden und an Texten feilen (kanonischen, allgemeinen, regulativen, lyrischen), um sie dann schliesslich mit Mehrheitsvoten in der Aula magna zu verabschieden. Auffallend ist die Volatilität der Dinge, das Fliessende (Prozess genannt), die Kirche eine Wanderdüne, aber kein Fels in der Brandung. Das einfache, gläubige Volk wird die verabschiedeten Texte nicht lesen, sondern es sucht sich seine Glaubensquellen anderswo, nicht in den Dokumenten, sondern in Oasen der Glaubensverkündigung, der mit Ehrfrucht und Würde rechtmässig gefeierten Liturgie, der Anbetung und der Beichte, in Oasen der Glaubenserneuerung (in Ehe und Familie) aufgrund des Glaubens der Kirche (KKK) und ihrer Sakramente im herkömmlichen Sinn. Vielleicht sind die «Indietristen» - ich meine nicht die Traditionalisten im strengen Sinn, sondern die Traditionsverbundenen, die einfachen Gläubigen, die jungen Gläubigen und Familien, die neu zum Glauben finden, die Avantgarde für morgen und längst schon weiter. Man kann es noch nicht entscheiden. Man muss nur auf die neue, gläubige Jugend schauen, um sich davon zu überzeugen.
Die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche ändert ihr Wesen, ihre sakramentale und hierarchische Struktur, ihre übernatürlichen Baugesetze (Guardini) jedenfalls nicht, denn sie gehen auf Christus und die Apostel zurück. Sie sind ein Werk des Heiligen Geistes seit den Anfängen. Der Heilige Geist widerspricht sich selbst nicht im Laufe der Zeit, um heute eine neue Kirche zu erschaffen (egal wie der Neusprech lautet), die sich von der vorausgegangen oder althergebrachten unterscheidet wie Orange und Banane. Man kann sie auch nicht wie ein Fahrzeug umspritzen und einfach nur mit neuer Farbe in eine ganz andere, ja falsche Richtung fahren lassen. Viele in diesem Fahrzeug verfolgen falsche Ziele. Zu befürchten bleibt eine Fragmentierung der universalen bzw. «ganzen» (Neusprech, weil den «Ortskirchen» keine römisch-katholische «Universalkirche» als ihr vorgeordnet suggeriert werden soll) Kirche in regionale, kulturell bedinge Ortskirchen wie z.B. die deutsche oder afrikanische. Ach so! Dafür also ist die lehramtliche und kanonische Aufwertung der Bischofskonferenzen ein Postulat der Stunde! Für mich eine Horrorvision, denn ich weiss aus Erfahrung, wie Mehrheitsvoten zustande kommen. Man kann es ja bereits abschätzen, was es für die röm.-kath. Kirche bedeutet, wenn in Polen anderes gilt als in Deutschland, in der Schweiz anderes als in Afrika. Die unumkehrbaren Prozesse vollziehen sich regional eben mit anderen Geschwindigkeiten (ich erinnere an Fiducia supplicans und den Widerstand der Bischöfe Afrikas). Schon in der EU sprach man von zwei Geschwindigkeiten, um faule Kompromisse contra legem (gegen das geschriebene Gesetz) zu rechtfertigen. Auf dem Spiel steht das Gemeinsame, das buchstäblich Katholische und Apostolische, die Unteilbarkeit der Kirche und die Einheit im Glauben (Lehre und Praxis), die für alle Teilkirchen ausnahmslos gelten.
Und was den angeblichen Vorrang der Praxis gegenüber der Idee anbelangt, bleibt zu betonen, dass keine Praxis theoriefrei ist, sondern immer auf Ideen beruht, die ihr vorausliegen. Der Vorrang der Praxis gegenüber der Theorie diente schon immer dazu, dogmatische bzw. traditionelle Positionen aufzulösen oder zu ignorieren. Das kenne ich seit den 70er Jahren, wo der Vorrang der Orthopraxie gegenüber der Orthodoxie das Schlagwort schlechthin der Reformer war. Ihre Praxis kam als Befreiung von Dogma (Idee) und Moral daher und wurde von ihnen auch als solche empfunden. Die faulen Früchte ernten wir heute. Die alten Rezepte der 70er Jahre (auch damals überall Synoden und Synodendokumente) kommen wieder in neuem Gewand, aber immer noch synodal. Kard. Eijk warnt deshalb die Synode davor, nicht dieselben Fehler zu machen wie die kath. Kirche in Holland (vgl. deren Katechismus) nach Abschluss des Konzils. Papst Johannes XXIII. hat auf dem Konzil vor den Untergangspropheten gewarnt. Aber Frühling kann man es auch nicht nennen, was gekommen ist. Sonst müssten die Kirchen voll und die Katholiken überzeugt sein.
Schon Benedikt XVI. hat in aller Deutlichkeit klargestellt, dass die Universalkirche vor Ort als sog. Ortskirche lebt, aber in sich unteilbar und letzteren vorgeordnet ist. Denn die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche wurde an Pfingsten in Jerusalem gegründet und hat sich – immer mit sich selbst identisch und unteilbar – überall auf der Welt eingepflanzt. Wir sind definitiv keine Gemeinschaft von Kirchen im Sinne eines Zusammenschlusses (Fleckenteppich). Der Wiedererkennungseffekt der Hl. Messe auf der ganzen Welt und in allen Kulturen hat bisher die gläubigen Katholiken auf der ganzen Welt froh gemacht und ihnen das Gefühl gegeben, sich überall auf der Welt im Schoss der Kirche zu bewegen. Wieder will man an der Liturgie der Kirche Hand anlegen, um Synodalität auch liturgisch zu übersetzen. Ich kann nur davor warnen. Wie viel will man noch aufs Spiel setzen, um dann dort zu enden, wo die Protestanten schon längst angekommen sind? Sie sehen in ihrer Form, Kirche zu sein, einen Gewinn, weshalb man mir an dieser Stelle nicht vorwerfen muss, negativ zu sein. Wir meinen eben nicht das Gleiche.
Bleiben wir auf der Hut vor einer schleichenden Umdeutung ekklesiologischer Wahrheiten und Umformung sakramentaler Strukturen, die mit ihrer Umdeutung und Umformung auch nicht mehr den Namen «Wahrheit» oder «Sakrament» verdienen, sondern schlicht und einfach Häresien und kirchlich adaptierte, säkulare Parameter von unten sind, welche die Kirche und ihr Anderssein, das von oben stammt, zerstören.
Die neue Synodalität führt nicht, wie semantisch inflationär betont wird, zu einer wünschenswerten Bekehrung auf allen Ebenen und in allen Lebensbereichen der Kirche, sondern, wie sich abzeichnet, zu einer neuen Bürokratisierung der Kirche durch die Vermehrung der Räte bzw. Gremien, von denen es ohnehin – wenigstens bei uns – zu viele gibt. Was wie bei der Schwindsucht schwindet, ist die Substanz des Glaubens und die Sakramentalität des kirchlichen Amtes in der Leitung, Heiligung und Verkündigung.
Dass die Leute, die meisten von ihnen noch getauft, den Glauben der Kirche nicht mehr teilen und auch nicht mehr praktizieren; dass sie ignorieren, was die Kirche lehrt; dass sie an ihren Sonntagsgottesdiensten nicht mehr oder nur sporadisch teilnehmen, ihre innere Bindung an die Kirche faktisch aufgegeben haben, ist erstaunlicherweise kein (dominantes) Thema im synodalen Prozess. Wir sprechen über Synodaliltät, während die Katholiken (die mittlerweile zu Neuheiden geworden sind und wie solche denken) die grundlegenden Wahrheiten des Glaubens (wie die leibliche Auferstehung Christi und seine Realpräsenz in der Hl. Eucharistie) nicht mehr glauben. Wir propagieren Synodolität, während die Mehrheit der Getauften nicht mehr an die leibliche Auferstehung Christi und an das ewige Leben glaubt, nicht wenige an die Widergeburt, an eine höchste Macht oder Energie, die sie Gott nennen. Sie glauben aber nicht mehr an die Hl. Dreifaltigkeit und an die Gottheit Jesu. Wo bleibt im synodalen Prozess die Sorge darüber? Hat der Geist keine Anregungen für die synodal propagierte Mission hervorgebracht, keine Strategie gegen den Glaubensschwund, kein Problembewusstsein für die aktuelle Misere, keine Impulse für die Erneuerung des sakramentalen Lebens und der Teilnahme der Fernstehenden am Glauben der Kirche? Bleibt die Hauptsorge der Kirche ihre eigene Synodalität, bis sie in vielen Weltgegenden keine Glieder mehr hat und vom Islam verdrängt wird, wenigstens bei uns? Auf welchem Planeten leben wir?
Mit anderen Worten: Während das «Haus der Glorie» (Kirchenlied) in unseren Breitengraden vielerorts schon abgefackelt ist, sind wir mit dem synodalen Prozess beschäftigt, in welchem ganz andere Themen dominieren als die oben genannten. Sie liessen auch Synodenteilnehmer merklich ermüden, habe ich gelesen. An vielen Orten sieht man in Bezug auf den gelebten Glauben nur noch verbrannte Erde als Ergebnis der postkonziliaren Umbrüche. Die viel beschworene Lebenswirklichkeit ist nicht zur Offenbarungsquelle dessen geworden, was der Geist will, sondern zum Offenbarungseid einer falsch gelaufenen postkonziliaren Reform, eines Fiaskos der Glaubenspraxis. Und das ist das Ergebnis falscher Ideen bzw. Theorien, die nicht schwächer als die Praxis waren, sondern diese hervorgebracht haben.
Es ist einfach nur noch traurig, diesen fortschreitenden Zerfall des Glaubens, der Einheit und Sakramentalität der Kirche mitansehen zu müssen und die erhebliche Schlagseite des Schiffes, ohne dass es die Kapitäne und Matrosen merken. Die Maschinen laufen auf Volltouren. Den sicheren Hafen werden sie verfehlen und auf bewegter See bleiben.
Ich hoffe auf den HERRN und bleibe zuversichtlich.